Dienstag, 8. Mai 2012

Die Geschichte von der unscheinbaren Liebe


Als Einstieg einmal eine kurze Geschichte, die sich auf meinem Computer einsam fühlt und sich nach Aufmerksamkeit sehnt...
Die Geschichte von der unscheinbaren Liebe

Wenn sie ihn gesehen hätten, hätten manche geglaubt, er hätte Angst. Oder er wäre stehengeblieben, weil er Schmerzen hätte. Recht hätten sie damit nicht. Er war stehengeblieben, weil er sie gesehen hatte.  Sie, die Frau aller Frauen. Die schönste, die er je gesehen hatte. Aber sie blieb nicht stehen. Sie sah ihn nicht an. Sie könnte ihn nicht einmal bemerkt haben. Er könnte zu unscheinbar sein, so wie eine einzelne Fliege zwischen all den anderen. Oder sie könnte ihn gesehen, aber gleich wieder vergessen haben, so wie jeden anderen Menschen, den sie kurz auf der Straße sieht.

Doch sie hatte ihn auch gesehen, und sie hatte ihn nicht vergessen, sie wollte sich nur nicht umdrehen und ihn genauer betrachten. Sie fürchtete sich davor. Sie hatte Angst, dass er es vielleicht bemerken könnte. Er könnte sich über sie im Gedanken lustig machen, oder vielleicht sogar laut über sie lachen. Sie könnte rot werden und sich vor allen anderen blamieren, und jeder würde mit ihm lachen. Sie würde weinend davonlaufen und noch mehr Spott ernten. Also tat sie es nicht und hielt sich zurück, auch wenn es ihr unheimlich schwerfiel, ihn nicht anzusehen. Auch er versuchte, es so hinzunehmen, wie es war. Warum sollte doch  gerade er so einer hübschen Frau, wie sie war, auffallen, was hatte er sich bloß dabei gedacht? Aber auch sie dachte darüber nach, was jemand wie er an ihr finden sollte. Bloß bekam sie ihn nicht mehr aus ihrem Kopf, genauso erging es auch ihm.

Sie würde gleich in eine andere Straße einbiegen, da würde er sicher nicht entlanggehen, dachte sie sich. Er entschloss sich dieselbe Straße zu nehmen, da er auch so an sein Ziel kommen würde, bloß war es ein längerer Umweg. Er wusste selbst nicht, warum er diesen Weg nahm und kannte sich auch kaum aus, also folgte er ihr. Normalerweise spazierten fast nie Leute außer ihr diese Straße entlang, daher kam es ihr etwas komisch vor. Sie hatte diesen Mann noch nie vorher gesehen, und sie kannte nahezu jeden, der diese Straße benutzte, persönlich. Obwohl sie nicht mehr so viel Angst hatte, wagte sie es nicht, sich umzudrehen. Bei anderen Leuten wäre es kein Problem gewesen, doch dieser Mann hatte etwas an sich. Wenn sie sich umdrehen würde und er sie ignorieren würde, wäre das für sie ein eindeutiges Zeichen, dass sie ihn nicht interessieren würde, und so etwas konnte sie nicht verkraften.  Denn er war anders als die anderen, das hatte sie gleich gemerkt.

Währenddessen wartete er, bis sie sich endlich umdrehen würde. Er konnte ihr bald nicht mehr folgen, denn dann musste er wo anders hin, und viel Zeit hatte er nicht mehr. Er wusste gar nicht einmal, warum er ihr folgte, wahrscheinlich zog sie ihn einfach an, so wie ein Magnet. Er verzweifelte langsam, denn was sollte er tun? Er könnte nicht zu ihr laufen und sie ansprechen, dann würde sie ihn vielleicht vertreiben. Sie könnte schon jemanden fürs Leben gefunden haben, und da wäre er fehl am Platz. Sie würde ihn für einen Besessenen halten, der ihr hinterherläuft. Sie könnte es auch anderen Leuten erzählen, dann wäre sein Leben noch schlimmer, als es sowieso schon war.

Sie würde jetzt gleich in ihr Haus gehen, aber sie konnte ihn nicht einfach vergessen. Dieser Fehler würde ihr ihr Leben lang leidtun.  Sie musste es riskieren, nur einen ganz kurzen Blick. Wenn etwas passierte, könnte sie ja immer noch eine Ausrede finden. Also drehte sie, so schnell wie sie konnte, ihren Kopf nach hinten und gleich wieder zurück. Doch sie hatte nicht viel gesehen, also drehte sie ihren Kopf erneut nach hinten, diesmal ganz langsam. Das hatte er gesehen. Er hätte fast einen Freudenschrei ausgestoßen, was er dann aber doch bleiben ließ. Er beschränkte sich auf ein Lächeln, und sie lächelte zurück. Beide blieben kurz stehen und auch ihre Herzen klopften wie wild. Jedoch ließen sie sich beide nichts anmerken und gingen weiter, während sie innerlich schon weinten vor Bedauern und sich selbst Vorwürfe machten.
Copyright by Kathi

Stay crazy and give the world a little smile :)

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